Financial Times Deutschland
31. Januar 2003
Von Ferdinand KnaußFührende deutsche Völkerrechtswissenschaftler sind sich einig: Ohne eine neue Resolution wäre ein Angriff der USA gegen Irak völkerrechtswidrig. Der Anspruch der USA, ihre Sicherheitsinteressen präventiv auch militärisch zu vertreten, sei abzulehnen.
"Die Uno hat noch kein Mandat zur Gewaltanwendung erteilt", sagt Jochen Frowein, Professor für Völkerrecht in Heidelberg. "Eine weitere Resolution ist notwendig." Die Ermächtigung zur Gewaltanwendung könne nur vom Uno-Sicherheitsrat kommen. "Ein Angriff ohne neue Resolution wäre ein Verstoß gegen das Völkerrecht", sagt auch Georg Nolte, Professor für Völkerrecht in Göttingen. Wenn Irak nicht die in der Resolution 1441 geforderte Kooperation mit den Uno-Waffeninspektoren zeige, sei eine zweite Resolution notwendig, die eindeutig zur Anwendung von Gewalt berechtigt.
Auch Christian Tomuschat, Professor an der Humboldt-Universität in Berlin und völkerrechtlicher Berater im Auswärtigen Amt, verwies in einem Interview mit dem "Spiegel" auf die völkerrechtliche "Grundregel, dass Gewaltanwendung gegen einen Staat nur in zwei Fällen zulässig ist: zur Selbstverteidigung oder wenn der Sicherheitsrat eine Ermächtigung erteilt hat." Die in der Resolution 1441 angedrohten "ernsthaften Konsequenzen" müsste der Sicherheitsrat bei Verstößen Iraks erst beschließen.
Dilemma der Bundesregierung
"Zugleich hat sich die rot-grüne Koalition selbst in ein völkerrechtliches Dilemma manövriert", schreibt Matthias Herdegen, Professor für Völkerrecht an der Universität Bonn, in der "Welt". Während sie einerseits einen Militärschlag ohne Ermächtigung durch den Sicherheitsrat als Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbotes verurteile, wolle sie gleichzeitig logistische Unterstützung leisten. Bei einem rechtswidrigen Angriff wäre dies aber "nichts anderes als Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt." Das bestätigten auch die Arbeiten der Uno-Völkerrechtskommission zur Staatenverantwortlichkeit. Tomuschat weist außerdem auf das Grundgesetz hin, nach dem das Gewaltverbot den Verpflichtungen aus internationalen Verträgen vorgehe.Eindeutige Ablehnung bringen deutsche Völkerrechtler dem von der Bush-Regierung erhobenen Anspruch auf präventive Selbstverteidigung entgegen. Tomuschat lässt eine solche Argumentation nur in einer "Extremlage" gelten, "wenn die feindlichen Raketen quasi schon abschussbereit sind." Wenn die neue Doktrin der USA, ihre Sicherheitsinteressen präventiv und an der Uno vorbei militärisch zu vertreten, wahr würde, bedeutete dies "das Ende der bestehenden Weltordnung".
Nolte geht davon aus, dass diese Doktrin international kaum akzeptiert werden wird. "Nach der Bush-Doktrin vertreten die Amerikaner den Anspruch, Terroristen und so genannte Schurkenstaaten überall dort zu bekämpfen, wo sie auftreten. Diesen Tendenzen sollte widersprochen werden." Derzeit gehen Völkerrechtler jedoch davon aus, dass es nicht das Ziel der USA sein könne, das Völkerrecht außer Kraft zu setzen. Entscheidend sei die Frage, "ob die Amerikaner anerkennen, dass auch andere, also der Uno-Sicherheitsrat, mitreden müssen bei Fragen der Ermächtigung zur Gewaltanwendung."