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| Ander Nieuws week 30 / nieuwe oorlog 2007 |
 
 
 
Ratlose Truppen am Hindukusch

Der Verteidigungsminister will Siege verkünden, doch in Afghanistan sind Niederlagen die Regel. Vertrauliche Dokumente zeichnen ein düsteres Bild von der Lage. Und noch immer fehlt eine tragfähige Strategie für den zivilen Aufbau des Landes.
 
Welt am Sontag
7. Juli 2007
Von Peter Müller
 
Night letters heissen die Drohbriefe, die die afghanischen Taliban nachts an Moscheen und Schulen anbringen, um die Bevölkerung zu terrorisieren. Darin warnen sie vor Anschlägen und versuchen so, die Menschen mürbe zu machen.
 
Doch immer mehr Zivilisten fallen nicht den Attentaten der Selbsternannten Gotteskrieger zum Opfer, sondern sterben, weil sie in Gefechte zwischen der internationalen Schutztruppe Isaf und der Antiterrormission Operation Enduring Freedom (OEF) mit den Taliban geraten. "Die Taktik der militanten Opposition, sich nach den Angriffen auf Isaf-Kräfte in bewohnte Gebiete zurückzuziehen und die Zivilbevölkerung zum eigenen Schutz zu nutzen, stellt die internationalen Truppen vor ein unlösbares Problem", heißt es in einem Papier des Auswärtigen Amtes von Anfang Juli. Dies führe zu anhaltendem Vertrauensverlust der Bevölkerung.
 
Die Vereinten Nationen berichten unterdessen, dass weiterhin 92 Prozent des weltweiten Opiums aus Afghanistan stammen.
 
Nächtliche Drohungen, Zivilisten als menschliche Schutzschilde, grassierender Drogenhandel: Die Auszüge aus drei aktuellen Berichten von Verteidigungsministerium und Auswärtigen Amt über die Lage in Afghanistan lesen sich wie Krimis. Sie liegen der "Welt am Sonntag" vor - leider finden sie kein gutes Ende.
 
Denn ihr Fazit ist eindeutig. Fünfeinhalb Jahre nach Vertreibung der Taliban droht der Wiederaufbau Afghanistans zu scheitern. Die Vorhaben des "Afghanistan Compact" sind weit davon entfernt, realisiert zu werden. Darin wurden zwischen Afghanistan und der internationalen Gemeinschaft ehrgeizige Entwicklungsziele für das Land bestimmt, die eigentlich bis 2010 verwirklicht werden sollten. Zehn Milliarden Dollar wurden Afghanistan auf einer Konferenz in London 2006 versprochen. Doch bei den Menschen vor Ort kommt davon zu wenig an.
 
Deutschland debattiert in diesem Sommer lieber das Für und Wider des Einsatzes der Bundeswehr am Hindukusch - und damit fast ausschließlich militärische Fragen. Doch gerade für den zivilen Wiederaufbau des Landes fehlen griffige Ideen. "Wir müssen weg von dem Blick nur auf Militärische", sagt die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff. "Die Bundeswehr und andere Armeen können alleine keinen Staat aufbauen."
 
Im Oktober steht die Verlängerung des deutschen Mandats für die Internationale Schutztruppe Isaf an. Einen Monat später muss der Bundestag dann über die Beteiligung an der von den USA geführten Antiterrormission OEF entscheiden. Eine breite Parlamentsmehrheit für die Verlängerung des gefährlichen Einsatzes gilt zwar als sicher. Doch die offenen Fragen mehren sich. Bringen die vielen zivilen Opfer der OEF-Mission den Einsatz der Isaf nicht insgesamt in Misskredit? Und ist es sinnvoll, dass sich die Bundeswehr beim Anti-Terror-Kampf mit KSK-Elitesoldaten und Flugzeugen zur Evakuierung Verwundeter beteiligt?
 
In einer Sondersitzung der SPD-Fraktion versuchte die Parteispitze vergangenen Mittwoch das Unwohlsein zu zerstreuen. Die Partei, die zu Zeiten von Rot-Grün den Anspruch verfolgte, Deutschland als Friedensmacht zu etablieren, tut sich zunehmend schwer mit einer Mission, bei der sich der Friede partout nicht einstellen will. Doch auch Abgeordnete von CDU und CSU gelingt es immer weniger, die unpopuläre Mission den Wählern schmackhaft zu machen.
 
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) setzt nun darauf, verstärkt die Erfolge des Einsatzes herauszustreichen. "Wir haben heute rund sechs Millionen Jungen und Mädchen, die wieder zur Schule gehen. In Zeiten des Talibanregimes waren es nur eine Million Kinder, nur Jungen", sagte er der "Welt am Sonntag". Weiter nennt der Minister neu gebaute Kindergärten und Schulen, eine bessere medizinische Versorgung und neue Krankenhäuser: "Über diese Erfolge müssen wir mehr in der Öffentlichkeit sprechen, damit das Bild in vielen Medien nicht nur durch Terroranschläge und Tote bestimmt wird".
 
Auf solche Erfolgsmeldungen will sich Elke Hoff nicht verlassen. Zweimal war die FDP-Verteidigungsexpertin in den vergangenen Monaten in Afghanistan, um sich ein eigenes Bild zu verschaffen - gegen die ausdrückliche Warnung deutscher Behörden. Als eine der wenigen Deutschen besuchte sie dabei auch die Verbündeten, Niederländer und Amerikaner etwa im Süden und soeben die Italiener im westafghanischen Herat.
 
Menschen, die einer geregelten Arbeit nachgehen, hat Elke Hoff genauso wenig getroffen wie Flüchtlinge, die in richtige Häuser heimkehren konnten. Stattdessen bereiste sie Landstriche, in denen Elektrizität und asphaltierte Straßen Luxus bleiben und wo die Taliban abseits der Hauptverbindungsrouten ihr altes Schreckensregime wieder neu verankern.
 
Der Verteidigungsminister will Siege verkünden, doch in Afghanistan sind Niederlagen die Regel. Die Sicherheitslage ist "nicht ruhig und nicht stabil", heißt die knappe Meldung, die den Anfang jedes militärischen Berichts aus Kabul seit Monaten ziert. Was das konkret bedeutet, geht zum Beispiel aus der vertraulichen Unterrichtung des Parlaments über die Auslandseinsätze von Ende Juni hervor.
 
Zwischen 22. und 24. Juni - also binnen dreier Tage - "registrierte (die Schutztruppe) Isaf landesweit 72 Sicherheitsvorfälle", heißt es darin. Gemeint sind damit unter anderem "49 Schusswechsel und Gefechte und zwölf Sprengstoffanschläge". Im nordafghanischen Kundus, wo im Mai drei deutsche Soldaten bei einem Anschlag ums Leben kamen, gehen die Deutschen zwar wieder auf Patrouille, jedoch halten sie sich meist in unmittelbarer Nähe ihres Lagers auf. Viele ausländische Entwicklungshelfer sind angesichts dieser Situation längst abgezogen.
 
"Insgesamt ist nicht nur eine quantitative Zunahme der Anschläge in Afghanistan festzustellen, auch qualitativ ist gegenüber dem Vorjahr eine verfeinerte, subtilere Vorgehensweise der militanten Opposition zu beobachten", bilanziert auch das Auswärtige Amt Anfang Juli in seinem Bericht.
 
Keine guten Nachrichten gibt es auch vom Kampf gegen den Drogenanbau. Afghanistan war 2006 "mit ca. 92 Prozent unverändert der führende Opiumsproduzent und -lieferant der Welt", heißt es in einem Schreiben des Verteidigungsministeriums an den zuständigen Bundestagsausschuss. Es bezieht sich auf Zahlen der Vereinten Nationen, wonach in 28 der 34 afghanischen Provinzen im vergangenen Jahr Schlafmohn angebaut wurde. Alternative Einkommensmöglichkeiten für Bauern fehlen.
 
Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, kennt diese Zahlen. "Es herrscht kein Mangel an Erkenntnissen, sondern bei der Umsetzung", sagt er. Ein Blick auf den Aufbau der afghanischen Armee, der ANA, stützt diese Erkenntnis. Frühestens wenn sie für Sicherheit sorgen kann, sollen die Bundeswehr und andere Armeen abziehen. Doch die Aufstellung der Streitkräfte geht nur schleppend voran. "Der bisher erreichte Ausbildungstand der ANA erlaubt in der Regel lediglich Einsätze bis zur Zugebene", also in kleinen Einheiten, heißt es in einem Papier des Verteidigungsministeriums. Für größere Operationen sei die Armee nicht zu gebrauchen.
 
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